20. April 2025
Oliver Weidermann zu einem aktuellen Thema:
Grenzenlose Liebe
Sonntag, Ostersonntag. Im Kalender steht „Feiertag“, und der Kirchenjahreskalender notiert: „Fest der Auferstehung und Hoffnung“. Ich werfe einen Blick in den Politikteil der Zeitung: Ernüchterung, bestenfalls. Vieles – nicht nur die Weltpolitik, auch persönliche Sorgen – verstellt den Blick auf ein hoffnungsvolles Morgen. So schiebt sich der Kreuzigungshügel Golgatha zwischen mich und die österliche Hoffnung.
Karsamstag und Ostersonntag kommen vom Karfreitag her: Gott identifiziert sich ohne Wenn und Aber mit den Menschen. So sehr, dass er sogar den gewaltsamen Tod – wohl das Schlimmste, was einem Menschenleben drohen kann – auf sich nimmt.
Ginge es nach dem Evangelisten Johannes, hätte die Erzählung des Lebens Jesu auch mit Karfreitag enden können. Denn der Weg Jesu, so berichtet er im 19. Kapitel, war an diesem Tag vollendet. Der Evangelist gibt auch die letzten Worte Jesu wider: „Es ist vollbracht“.
Und die Auferstehung am Ostermorgen? Ein Phantasma der Freunde Jesu, das über dessen grausamen Tod hinwegtrösten sollte? Ein himmlisches Hoffnungsbild?
Nochmals der Evangelist Johannes: Am Ostermorgen und den folgenden Tagen begegnen Maria und die ernüchterten Jünger dem Auferstandenen, auch die Zweifelnden. Und dann verstehen sie!
Immer wieder trifft Jesus auf fragende Blicke. Niemand begreift zunächst die Hingabe Jesu, die bis in den Tod reicht. Aber „als er nun auferstanden war von den Toten, dachten seine Jünger daran, dass er dies gesagt hatte, und glaubten …“ (Joh 2,22 u.a.). Im Lichte des Ostersonntags verstehen sie, was bisher im Schatten des Kreuzes verborgen blieb. Dieser Gedanke durchzieht das ganze Evangelium. So geht es auch mir: An Ostern verstehe ich, was an Karfreitag geschehen ist.
Nicht nur das Johannesevangelium, auch das ganze Neue Testament betont immer wieder, dass sich Gott mit den Menschen, auch den Elendsten, bis zur Hingabe identifiziert. Man denke allein an das endzeitliche Gerichtsbild in Matthäus, Kapitel 25: Gott fragt, wie wir mit den Geringsten, den Hungrigen und Durstigen, den Fremden, den Kranken usw. umgehen: „Was ihr (nicht) getan habt einem von diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir (nicht) getan.“ Gott identifiziert sich mit den Elenden. (Ich auch? Schaue ich wenigstens nicht weg, vielleicht sogar empathisch hin?)
Gott identifiziert sich mit uns – bis ins Elend hinein. An Karfreitag zeigt uns Gott, wozu seine grenzenlose Liebe fähig ist. Seine Liebe, die bis ins Grab hinein- und darüber hinausreicht. Aber an Ostern öffnet er uns die Augen dafür.
Er ist wahrhaftig auferstanden!
Oliver Weidermann ist Diplom-Theologe und seit 1. Februar theologischer Studienleiter an der Evangelischen Akademie im Saarland.