09. April 2023
Karl-Martin Unrath zu einem aktuellen Thema:

Den Stein wegrollen


Auf dem Berg Nebo in Jordanien sah ich diesen großen Stein. So muss er ausgesehen haben, ging es mir durch den Kopf, der Stein vor dem Grab Jesu. Wie ein riesiges Wagenrad ohne Nabe. „Der Abu Badd“ heißt dieser Stein. Er war die Tür eines alten byzantinischen Klosters. Wie viele Mönche es wohl gebraucht hat, den zu bewegen?

„Wer wälzt uns den Stein von des Grabes Tür?“, fragen sich die drei Frauen, die am Ostermorgen auf dem Weg zum Grab Jesu sind, um seinen Leichnam zu salben. Doch als sie an das Grab kommen, ist der Stein schon weggewälzt. Das Grab ist leer. Nur ein Jüngling im weißen Gewand sitzt da, ein Engel wohl, und sagt, Jesus sei auferstanden.

Auferstanden! Wie hat man sich das vorzustellen? Gar nicht. In der Bibel wird mit keinem Wort auch nur angedeutet, was da im Grab geschehen ist. Stattdessen erzählt die Bibel Geschichten von Menschen, die dem Auferstandenen begegnen. Von Maria von Magdala, die ihn geliebt hat und nun vor Trauer nicht weiß, wohin mit sich. Von zwei Freunden Jesu, die auf dem Weg von Jerusalem nach Emmaus von nichts anderem reden können, als ihrer enttäuschten Hoffnung. Von den Jüngern, die mit ihm gelebt haben und sich nun verkriechen aus lauter Angst, auch ihr Leben könne in Gefahr sein. Von Menschen, die gefangen sind in ihren Karfreitagserfahrungen. In Trauer, Angst und enttäuschter Hoffnung. Ihnen allen begegnet der Auferstandene.

Das Besondere an diesen Begegnungen: Sie alle erkennen ihn zunächst nicht. Erst an einer Geste. Oder daran, wie er einen Namen ausspricht. Auferstehung ist nicht die Wiederaufnahme des alten Lebens. Auferstehung ist etwas ganz Neues, für das es kein Wort gibt. Nur diese Geschichten von Menschen, die in ihrer Trauer ganz verloren waren und wieder froh wurden; die sich aus Angst und enttäuschter Hoffnung verkrochen hatten und plötzlich anfingen, aller Welt zu erzählen: Er lebt. Die Liebe Gottes lebt.

Ohne die Begegnung mit dem Auferstandenen wäre es für alle diese Menschen Karfreitag geblieben.

Karfreitag, das ist Trauer, Angst, enttäuschte Hoffnung. Karfreitag steht für Krieg und Hunger und Armut. Karfreitag steht für die Ukraine und den Jemen und  jedes Flüchtlingslager dieser Welt. Karfreitag, das ist der große Stein vor dem Leben. Karfreitag, das ist der Tod.

An Ostern feiern wir die Auferstehung, den Sieg über den Tod. Auferstehung ist Gottes entschiedener Widerspruch gegen den Karfreitag.

Ist das so? Ja, ich glaube fest daran. Ich weiß nicht, was im Felsengrab geschehen ist. Aber ich weiß, dass Menschen in der Begegnung mit dem Auferstanden ihre Karfreitagserfahrungen überwunden haben und selbst auferstanden sind, aufgestanden sind gegen Trauer, Angst und Resignation. Und so ist das bis heute. Ohne Menschen, die der Botschaft der Auferstehung vertrauen, bleibt es Karfreitag.

Auferstehung, das sind Geschichten, wie der Stein der Trauer und Angst weggewälzt und der Weg ins Leben frei wird. Um diesen Stein zu bewegen, braucht es keine Mönche, nur dieses Wort: Er lebt. Die Liebe Gottes lebt.

 

Karl-Martin Unrath war bis Ende März Militärpfarrer in Saarlouis und leitet nun das Evangelische Militärpfarramt Idar-Oberstein.  Bis vor wenigen Wochen war er für einige Monate im Auslandseinsatz in Jordanien.





Zurück